Bei der Anwendung unionsrechtlich vollständig vereinheitlichter Regelungen sind grundsätzlich nicht die deutschen Grundrechte, sondern die Unionsgrundrechte maßgeblich[1].

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Kontrolle der Entscheidung eines Fachgerichts daraufhin, ob es bei der ihm obliegenden Anwendung des Unionsrechts den hierbei zu beachtenden Anforderungen der Grundrechtecharta Genüge getan hat[2].
Das Bundesverfassungsgericht gewährleistet den Grundrechtsschutz in enger Kooperation mit dem Gerichtshof der Europäischen Union[3], dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und den Verfassungs- und Höchstgerichten der anderen Mitgliedstaaten[4].
Die Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen am Maßstab der in der Charta gewährleisteten Grundrechte durch das Bundesverfassungsgericht kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Gerichtshof der Europäischen Union deren Auslegung bereits geklärt hat oder die anzuwendenden Auslegungsgrundsätze aus sich heraus offenkundig sind – etwa auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die im Einzelfall auch den Inhalt der Charta bestimmt (vgl. Art. 52 Abs. 3 GRCh), oder unter Heranziehung der Rechtsprechung mitgliedstaatlicher Verfassungs- und Höchstgerichte zu Grundrechten, die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ergeben und den in der Charta der Grundrechte gewährleisteten Grundrechten entsprechen (vgl. Art. 52 Abs. 4 GRCh).
Andernfalls müssen Fragen zur Auslegung der Rechte der Charta dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorgelegt werden[5].
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. Mai 2022 – 2 BvR 1110/21