Dienstleistungsfreiheit – und die nationale Sanktionierung unzureichender Arbeitsbedingungen bei EU-Werkunternehmen

Eine Regelung eines Mitgliedstaats, wonach einem inländischen Dienstleistungsempfänger ein Zahlungstopp und eine Sicherheitsleistung zur Sicherung einer etwaigen Geldbuße auferlegt werden können, die gegen den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistungserbringer wegen Verstoßes gegen das Arbeitsrecht des ersteren Mitgliedstaats verhängt werden könnte, ist unionsrechtswidrig.

Dienstleistungsfreiheit – und die nationale Sanktionierung unzureichender Arbeitsbedingungen bei EU-Werkunternehmen

Derartige nationale Maßnahmen gehen über das hinaus, was zur Erreichung der Ziele des Arbeitnehmerschutzes sowie der Bekämpfung von Betrug, insbesondere Sozialbetrug, und der Verhinderung von Missbräuchen erforderlich ist.

Dies entschied jetzt der Gerichtshof der Europäischen Union auf eine Vorlage aus Österreich:

Die in Slowenien ansässige Gesellschaft Čepelnik erbrachte Herrn Vavti Dienstleistungen im Bausektor im Wert von 12 200 Euro. Die Leistungen wurden von entsandten Arbeitnehmern in einem Herrn Vavti gehörenden Haus in Österreich ausgeführt. Herr Vavti leistete eine Anzahlung von 7.000 € an Čepelnik. Im Jahr 2016 führte die österreichische Finanzpolizei auf der Baustelle eine Kontrolle durch und warf Čepelnik zwei Verwaltungsübertretungen in Bezug auf arbeitsrechtliche Vorschriften vor. Aufgrund dieser Feststellung erlegte die Finanzpolizei Herrn Vavti einen Zahlungstopp auf und beantragte bei der zuständigen Verwaltungsbehörde, der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt, Herrn Vavti die Zahlung einer Sicherheitsleistung zur Sicherung eine Geldstrafe aufzutragen, die möglicherweise gegen Čepelnik in dem auf die Kontrolle hin einzuleitenden Verfahren verhängt würde. Die Finanzpolizei beantragte, die Sicherheitsleistung in Höhe des noch ausstehenden Werklohns (5.200 €) festzusetzen. Die Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt gab dem Antrag statt, und Herr Vavti zahlte eine Sicherheitsleistung in dieser Höhe. Gegen Čepelnik wurde wegen der ihr vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen ein Verfahren eingeleitet. Im Oktober 2016 wurden gegen sie Geldstrafen in Höhe von 1.000 € und von 8.000 € wegen der Übertretungen verhängt. Nach Beendigung der Arbeiten verlangte Čepelnik von Herrn Vavti die Zahlung eines Betrags von 5.000 €. Herr Vavti lehnte die Zahlung unter Hinweis darauf ab, dass er eine Sicherheitsleistung von 5.200 € an die Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt gezahlt habe. Daraufhin verklagte Čepelnik ihn auf Zahlung des noch ausstehenden Werklohns.

Das mit dem Rechtsstreit befasste Bezirksgericht Bleiburg/Okrajno Sodišče Pliberk (Österreich) legte daraufhin dem Gerichtshof der Europäischen Union die Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vor, ob das europäische Unionsrecht, namentlich Art. 56 AEUV sowie die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt[1] (Dienstleistungsrichtlinie), einem Mitgliedstaat verbietet, einer Person, die in diesem Mitgliedstaat Arbeiten in Auftrag gegeben hat, einen Zahlungsstopp und eine Sicherheitsleistung in Höhe des noch ausstehenden Betrags aufzuerlegen, wenn beides allein der Sicherung einer Geldbuße dient, die gegen den Dienstleistungserbringer, der die Arbeiten erbracht hat und der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, später in einem gesonderten Verfahren verhängt werden könnte.

Im Wege eines solchen Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Europäischen Union vorlegen. Der Unionsgerichtshof entscheidet dabei nicht über den nationalen Rechtsstreit sondern nur über die vorgelegte Rechtsfrage. Es ist und bleibt dagegen Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache sodann im Einklang mit der Entscheidung des Unionsgerichtshofs zu entscheiden. Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bindet in gleicher Weise auch andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

In seinem jetzt verkündeten Urteil stellt der Gerichtshof der Europäischen Union zunächst fest, dass die Dienstleistungsrichtlinie auf Maßnahmen, wie sie in der im Ausgangsverfahren fraglichen österreichischen Regelung vorgesehen sind, nicht anwendbar ist. Nach ihrem Wortlaut berührt die Richtlinie nämlich nicht das „Arbeitsrecht“, und dieser Begriff wird in der Richtlinie weit definiert. Die betreffende Richtlinienbestimmung unterscheidet nicht zwischen Vorschriften des materiellen Arbeitsrechts und Vorschriften, die die Maßnahmen zur Durchsetzung des materiellen Arbeitsrechts regeln oder die die Wirksamkeit von Sanktionen im Fall seiner Nichtbeachtung gewährleisten sollen.

Der Unionsgerichtshof weist außerdem darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber mit dieser Richtlinie ein Gleichgewicht zwischen dem Ziel, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern und der Dienstleistungsfreiheit zu beseitigen, und dem Erfordernis wahren wollte, ein hohes Niveau des Schutzes von im Allgemeininteresse liegenden Zielen, insbesondere der Einhaltung des Arbeitsrechts, sicherzustellen. Enthält eine nationale Regelung abschreckende Maßnahmen zur Durchsetzung von materiellem Arbeitsrecht sowie Vorschriften zur Gewährleistung der Wirksamkeit von Sanktionen im Fall seiner Nichtbeachtung, trägt dies zu einem hohen Niveau des Schutzes des im Allgemeininteresse liegenden Ziels der Einhaltung des Arbeitsrechts bei.

Der Unionsgerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, dass eine solche nationale Regelung von der in der Dienstleistungsrichtlinie vorgesehenen Ausnahme „Arbeitsrecht“ erfasst wird.

Nachdem der Unionsgerichtshof die Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie ausgeschlossen hat, prüft er, ob eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche mit dem freien Dienstleistungsverkehr im Einklang steht. Er führt aus, dass alle Maßnahmen, die die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit untersagen, behindern oder weniger attraktiv machen, als Beschränkungen dieser Freiheit zu verstehen sind. Maßnahmen, wonach ein Auftraggeber die Zahlungen an seinen Vertragspartner zu stoppen und eine Sicherheitsleistung in Höhe des noch ausstehenden Werklohns zu zahlen hat, wenn der begründete Verdacht besteht, dass der Dienstleistungserbringer eine Verwaltungsübertretung in Bezug auf nationales Arbeitsrecht begangen hat, können dem Dienstleistungsempfänger die Möglichkeit nehmen, einen Teil des Betrags als Ausgleich für eine mangelhafte oder verspätete Fertigstellung des Werks zurückzubehalten, und dem Dienstleistungserbringer die Möglichkeit, die Zahlung des noch ausstehenden Werklohns zu verlangen. Folglich wird durch solche Maßnahmen der freie Dienstleistungsverkehr beschränkt.

Eine solche Beschränkung kann jedoch zulässig sein, wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht, wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

Zu den Zielen des Schutzes der Arbeitnehmer sowie der Bekämpfung von Betrug, insbesondere Sozialbetrug, und der Verhinderung von Missbräuchen stellt der Gerichtshof fest, dass die in der fraglichen österreichischen Regelung vorgesehenen Maßnahmen, die die Wirksamkeit möglicher Sanktionen gegen einen Dienstleistungserbringer im Fall eines Verstoßes gegen arbeitsrechtliche Vorschriften sicherstellen sollen, als geeignet angesehen werden können, die Erreichung dieser Ziele zu gewährleisten. Was dagegen die Verhältnismäßigkeit einer solchen Regelung im Hinblick auf diese Ziele angeht, weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach dieser Regelung derartige Maßnahmen erlassen werden dürfen, noch bevor die zuständige Behörde eine Verwaltungsübertretung in Bezug auf das nationale Arbeitsrecht festgestellt hat. Zudem hat der Dienstleistungserbringer, gegen den der begründete Verdacht einer Verwaltungsübertretung besteht, nach dieser Regelung nicht die Möglichkeit, vor dem Erlass der betreffenden Maßnahmen Stellung zu dem ihm vorgeworfenen Sachverhalt zu nehmen. Ferner können die zuständigen Behörden die Höhe der dem Dienstleistungsempfänger unter Umständen auferlegten Sicherheitsleistung festlegen, ohne etwaige Baumängel oder andere Vertragsverstöße des Dienstleistungserbringers bei der Erfüllung des Werkvertrags zu berücksichtigen, so dass die Sicherheitsleistung gegebenenfalls erheblich über dem Betrag liegen könnte, den der Auftraggeber an und für sich nach Beendigung der Arbeiten zahlen müsste.

Der Gerichtshof der Europäischen Union kam daher zu dem Ergebnis, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats, wonach die zuständigen Behörden einem inländischen Auftraggeber auferlegen können, die Zahlungen an seinen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Vertragspartner zu stoppen und sogar eine Sicherheitsleistung in Höhe des noch ausstehenden Werklohns zu zahlen, um die Zahlung einer Geldbuße zu sichern, die gegen den Vertragspartner im Fall der Feststellung eines Verstoßes gegen das Arbeitsrecht des ersteren Mitgliedstaats verhängt werden könnte, über das hinausgeht, was zur Erreichung der Ziele des Arbeitnehmerschutzes sowie der Bekämpfung von Betrug, insbesondere Sozialbetrug, und der Verhinderung von Missbräuchen erforderlich ist.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 13. November 2018 – C -33/17

  1. ABl.EG 2006, L 376, S. 36[]