Der EU-Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention – und die Informationsfreiheit

Das Gericht der Europäischen Union hat den Beschluss des Rates, den Zugang zu einem den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten betreffenden Dokument zu verweigern, teilweise für nichtig erklärt.

Der EU-Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention – und die Informationsfreiheit

Jeder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat hat nach der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission[1] vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen ein Recht auf Zugang zu Dokumenten der EU-Organe. Die Organe verweigern insbesondere den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung der Schutz des öffentlichen Interesses im Bereich internationaler Beziehungen beeinträchtigt würde.

Am 23. Januar 2011 beantragte Leonard Besselink, Professor für Verfassungsrecht an der juristischen Fakultät der Universität Utrecht (Niederlande), Zugang zu einem Dokument, das einen Entwurf für einen Beschluss des Rates der Europäischen Union über die Ermächtigung der Kommission zu Verhandlungen über den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) enthält. In diesem Dokument befinden sich ferner die von der Kommission in ihrer Eigenschaft als Verhandlungsführerin der Union einzuhaltenden Verhandlungsrichtlinien.

Mit Beschluss vom 1. April 2011 verweigerte der Rat den vollen Zugang zu dem Dokument und gewährte Zugang zu einer in Teilen freigegebenen Fassung dieses Dokuments, da er der Ansicht war, dass die Verbreitung des Dokuments den Schutz des öffentlichen Interesses im Bereich internationaler Beziehungen beeinträchtigen würde. Insbesondere würden mit dem Dokument die strategischen Ziele der Union offengelegt, wodurch ihre Verhandlungsposition geschwächt würde. Zudem würde durch die Verbreitung eines vorbereitenden Schriftstücks das Vertrauensklima zwischen den Verhandlungspartnern beeinträchtigt, so dass die künftigen internationalen Verhandlungen der Union in Mitleidenschaft gezogen werden könnten.

Herr Besselink hat beim Gericht der Europäischen Union Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses des Rates erhoben. Nach seiner Auffassung hat der Rat durch eine unzutreffende Anwendung der in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme in Bezug auf den Schutz des öffentlichen Interesses im Bereich internationaler Beziehungen einen Rechtsfehler begangen. Zudem habe der Rat gegen diese Verordnung und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, da er nicht geprüft habe, ob es angebracht gewesen wäre, in größerem Umfang einen teilweisen Zugang zu gewähren und die Ablehnung auf die Teile des Dokuments zu beschränken, für die dies angemessen und unbedingt erforderlich gewesen wäre.

In seinem jetzt verkündeten Urteil erklärt das Unionsgericht den Beschluss des Rates teilweise für nichtig.

Zum einen stellt das Gericht der Europäischen Union fest, dass der Rat einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, indem er den Zugang zur Verhandlungsrichtlinie Nr. 5 über den Beitritt zu den Zusatzprotokollen zur EMRK verweigerte. Da diese nämlich den Verhandlungspartnern mitgeteilt worden war, kann in ihrer Verbreitung keine Schwächung der Verhandlungsposition der Union gesehen werden. Überdies enthält sie lediglich den Standpunkt der Union zur Frage des Beitritts der Union zu den Protokollen und schließt z. B. weder den Standpunkt der Partner der Union in den Verhandlungen noch den Standpunkt der Union zum Standpunkt ihrer Partner ein. Daher kann die Verbreitung dieses Teils des Dokuments nicht das Vertrauensklima zwischen den an diesen Verhandlungen unmittelbar oder mittelbar Beteiligten gefährden.

Zum anderen war der Rat in Bezug auf die übrigen Verhandlungsrichtlinien nach Auffassung des Gerichts zu der Annahme berechtigt, dass eine Verbreitung ihres genauen Inhalts das öffentliche Interesse im Bereich internationaler Beziehungen beeinträchtigen könnte. Denn auch wenn es sich um ein vorbereitendes Schriftstück handelt, können sich die von der Union im Rahmen internationaler Verhandlungen eingenommenen Standpunkte aufgrund des Verlaufs dieser Verhandlungen sowie der Zugeständnisse und Kompromisse, auf die sich die verschiedenen Beteiligten in diesem Rahmen verständigt haben, ändern. Dabei ist nicht auszuschließen, dass sich die öffentliche Verbreitung der eigenen Standpunkte durch die Union, während die Verhandlungspositionen der anderen Parteien geheim bleiben, negativ auf die Verhandlungskraft der Union auswirkt.

Da die Verbreitung des in Rede stehenden Dokuments – abgesehen von der Verhandlungsrichtlinie Nr. 5 – möglicherweise das öffentliche Interesse im Bereich internationaler Beziehungen hätte beeinträchtigen können, war der Rat verpflichtet, sodann anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob das Dokument, unter Beschränkung einer etwaigen Weigerung auf die von der genannten Ausnahme erfassten Angaben, teilweise zugänglich zu machen war. Im vorliegenden Fall hat der Rat einen sehr eingeschränkten Zugang gewährt, der im Wesentlichen nur den Einleitungsteil des Dokuments und einen Teil des Beschlussentwurfs des Rates umfasste. Hierzu ergibt sich nach Auffassung des Unionsgerichts aus der Prüfung des in Rede stehenden Dokuments, dass bestimmte Teile der Verhandlungsrichtlinien hätten offengelegt werden können, ohne dadurch das öffentliche Interesse der Union im Bereich internationaler Beziehungen zu beeinträchtigen. Dies gilt für die Teile des Beschlussentwurfs und der Verhandlungsrichtlinien, in denen der Rat lediglich auf die Grundsätze für die Verhandlungen über den Beitritt der Union zur EMRK hinweist. Es gilt auch für die Verhandlungsrichtlinien, in denen der Rat lediglich eine Liste in den Verhandlungen aufzugreifender Fragen aufstellt, ohne zu ihnen näher Stellung zu nehmen. Nach Auffassung des Gerichts führen diese Schlussfolgerungen hinsichtlich des Umfangs des teilweisen Zugangs zur Rechtswidrigkeit der vom Rat vorgenommenen Prüfung. Das Gericht stellt daher fest, dass der Rat in Bezug auf die Teile des Dokuments, deren Verbreitung das öffentliche Interesse im Bereich internationaler Beziehungen beeinträchtigen konnte, nicht seiner Verpflichtung nachgekommen ist, die Weigerung allein auf die von der angeführten Ausnahme erfassten Informationen zu beschränken.

Aus diesen Gründen erklärt das Gericht der Europäischen Union den Beschluss des Rates für nichtig, soweit mit ihm der Zugang zur Verhandlungsrichtlinie Nr. 5 und zu den nicht offengelegten Teilen des Dokuments verweigert wird, in denen auf die für die Verhandlungen maßgebenden Grundsätze des EU-Vertrags hingewiesen wird oder lediglich die in den Verhandlungen aufzugreifenden Fragen dargestellt werden. Im Übrigen wurde die Klage von Herrn Besselink abgewiesen.

Gericht der Europäischen Union, Urteil vom 12. September 2013 – T 331/11 [Besslink / Rat]

  1. ABl. L 145, S. 43[]