Immunität für Europäische Schulen

Ein die Immunität einer Partei fälschlicherweise verneinendes Zwischenurteil steht der in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen durchzuführenden Prüfung, ob die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben ist, nach einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs auch dann nicht entgegen, wenn es unangefochten geblieben ist.

Immunität für Europäische Schulen

Als Teil einer internationalen Organisation mit Völkerrechtspersönlichkeit genießt die Europäische Schule Frankfurt a.M. vor den nationalen Gerichten grundsätzlich Immunität; das gilt namentlich für Streitigkeiten zwischen den Eltern und der Schule über das Schulgeld.

Die Einrichtung Europäischer Schulen geht auf das Protokoll über die Gründung Europäischer Schulen vom 13. April 1962[1] zurück, das seinerseits Bezug nimmt auf die am 12. April 1957 von Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden unterzeichnete Satzung der Europäischen Schulen[2]. An die Stelle der ursprünglichen Satzung ist die Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen vom 21. Juni 1994 getreten, der die Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz vom 31. Oktober 1996 zugestimmt hat[3] und die am 1. Oktober 2002 in Kraft getreten ist[4]. Vertragsparteien sind nunmehr die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaften und die Europäischen Gemeinschaften selbst.

Die Europäischen Schulen, deren Ziel es ist, die Kinder der Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften gemeinsam zu unterrichten (Art. 1 Satz 2 der Satzung), nehmen vornehmlich Kinder von Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften (Schülerkategorie I) sowie Kinder von Bediensteten auf, deren Anstellungskörperschaften mit den Europäischen Schulen ein Finanzierungsabkommen geschlossen haben (Schülerkategorie II). Gegen Zahlung eines Schulgeldes steht der Schulbesuch im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten auch sonstigen Kindern offen (so genannte Nichtberechtigte, Kategorie III).

Immunität und (formell rechtskräftiges) Zwischenurteil

In dem jetzt vom BGH entschiedenen Fall hatte das erstinstanzlich tätige Landgericht Frankfurt/Main in einem Zwischenurteil die Immunität verneint. Dieses Zwischenurteil wurde von der Beklagten, den Europäischen Schulen, nicht angegriffen, gegen das Endurteil legte sie jedoch Berufung ein, woraufhin das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in seinem Berufungsurteil das landgerichtliche Urteil aufhob und die Klage wegen der bestehenden Immunität als unzulässig abwies. Zu Recht, wie jetzt der BGH befand:

Das die Immunität der Beklagten verneinende Zwischenurteil des Landgerichts steht, so der BGH, der in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen durchzuführenden Prüfung, ob die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben ist, nicht entgegen. Zwar kann über die Frage, ob sich eine Partei zu Recht auf ihre Immunität beruft, durch ein Zwischenurteil gemäß § 280 ZPO entschieden werden. Dieses vermag aber dann keine Bindungswirkung zu entfalten, wenn es das Vorliegen der deutschen Gerichtsbarkeit fälschlicherweise bejaht.

Besteht Streit über das Vorliegen von Zulässigkeitsvoraussetzungen, sollen durch das rechtsmittelfähige und der Prozessökonomie dienende Zwischenurteil zunächst die vorgreiflichen Zulässigkeitsfragen abschließend geklärt werden[5]. Erst anschließend ist gegebenenfalls über die Begründetheit zu befinden. Die Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit nach den §§ 18 bis 20 GVG ist ein Verfahrenshindernis, über dessen Vorliegen nach ein-helliger Auffassung im Wege eines Zwischenurteils gemäß § 280 ZPO entschieden werden kann[6].

Das Zwischenurteil ist gemäß § 280 Abs. 2 ZPO selbständig anfechtbar und unterliegt daher der formellen Rechtskraft gemäß § 705 ZPO. Ist es – wie im vorliegenden Fall – mit Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbar, kann es daher im Wege des Rechtsmittels gegen das später ergehende Endurteil grundsätzlich nicht mehr überprüft werden; insoweit bindet es das Rechtsmittelgericht gemäß §§ 512, 557 Abs. 2 ZPO[7].

Zutreffend hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main allerdings entschieden, dass ein Zwischenurteil, das zu Unrecht die Immunität einer Partei verneint hat, keine Bindungswirkung entfalten kann. Die aufgrund staatlicher Souveränität bestehende Gerichtsgewalt findet dort ihre Grenzen, wo das Völkerrecht sie personell beziehungsweise gegenständlich einschränkt[8]. Liegt ein Immunitätstatbestand vor, ist das nationale Gericht zu einer Entscheidung in der Sache nicht befugt[9]. Die Gerichtsbarkeit über einen Verfahrensbeteiligten muss daher als selbständige Prozessvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen beachtet werden[10] und zwar ohne jede Bindung an vorangegangene Entscheidungen.
Ein die Immunität einer Partei zu Unrecht verneinendes Zwischenurteil vermag mithin keine Bindungswirkung zu entfalten.

Trotz fehlender Bindungswirkung bleibt, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, eine Vorabentscheidung über die Frage der Immunität sinnvoll, weil der Streit zunächst auf die Frage des Bestehens der deutschen Gerichtsbarkeit konzentriert werden kann und so der größtmögliche Schutz für das Bestehen der Immunität gewährleistet ist. Ist die Immunität einer Partei zu bejahen und die Klage damit unzulässig, kann der Rechtsstreit sogleich durch Endurteil in Form eines Prozessurteils beendet werden[11]. Dass das Zwischenurteil (ausnahmsweise) keine Rechtssicherheit zu begründen vermag, wenn – wie der vorliegende Fall verdeutlicht – das Gericht die Immunität zu Unrecht verneint, ist dem Völkerrecht geschuldet und deshalb hinzunehmen.

Schließlich hat, wie der BGH betont, bereits das OLG Frankfurt zutreffend erkannt, dass die Beklagte nicht auf ihre Immunität dadurch verzichtet hat, dass sie gegen das Zwischenurteil kein Rechtsmittel eingelegt hat. An das Vorliegen eines Verzichts auf Immunität sind strenge Anforderungen zu stellen. Die Umstände des Falles dürfen keine Zweifel daran lassen, dass ein Immunitätsverzicht bezweckt ist. Da internationale Organisationen im Zweifel nur selten auf ihre Immunität verzichten, spricht die Vermutung gegen einen Verzicht[12]. Deshalb bedarf der Verzicht grundsätzlich auch einer ausdrücklichen Erklärung[13], die hier fehlt.

Immunität der Europäischen Schulen

Die Europäischen Schulen genießen für den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens – einen Streit um die Höhe des Schulgeldes – nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs Immunität und unterliegt damit gemäß § 20 Abs. 2 GVG nicht der deutschen Gerichtsbarkeit.

Als Teil einer internationalen Organisation mit Völkerrechtspersönlichkeit genießt die Beklagte hinsichtlich der hier im Streit stehenden Schulgeldangelegenheiten Immunität. Diese folgt aus Art. 27 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 25 Nr. 4 der Satzung.

Bei der Institution der „Europäischen Schulen“ handelt es sich um eine zwischenstaatliche Einrichtung mit Völkerrechtspersönlichkeit[14]. Sie regelt ihre innerorganisatorischen Angelegenheiten kraft originären Rechts selbst[15]. Die einzelne Schule nimmt als deren unselbständige Untergliederung an dieser Völkerrechtspersönlichkeit teil und hat daneben die Stellung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts[16].

Die Befreiung einer internationalen Organisation und ihrer Untergliederungen von der nationalen Gerichtsbarkeit des Sitzstaates wird regelmäßig im Rahmen der Gründungsabkommen oder gesonderter Privilegienabkommen geregelt[17]. Daneben wird teilweise auch vertreten, dass internationalen Organisationen – unabhängig von entsprechenden Übereinkommen – Immunität von den nationalen Gerichten des Sitzstaates kraft Völkergewohnheitsrechts jedenfalls für den Kernbereich ihrer Autonomie zukommen kann[18].

Während die ursprüngliche Satzung der Europäischen Schulen von 1957 selbst keinen eigenen Rechtsweg vorsah (zum Rechtsmittelverfahren Bediensteter aufgrund des Personalstatuts s. Gruber aaO S. 1029), haben die Vertragsparteien mit der Satzung von 1994, also mit ihrem neu geschaffenen Gründungsabkommen, nunmehr ein eigenes, internes Rechtsschutzverfahren eingeführt[19] und damit den Umfang der von ihnen in Anspruch genommenen Immunität positiv geregelt. Auf die Frage, ob sich die Beklagte als Teil einer internationalen Organisation zur Begründung ihrer Immunität (auch) auf Völkergewohnheitsrecht stützen kann, kommt es deshalb nicht mehr entscheidend an.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. Juli 2009 – III ZR 46/08

  1. Gesetz vom 22. Juli 1969, BGBl. II S. 1301[]
  2. Gesetz vom 26. Juli 1965, BGBl. II S. 1041[]
  3. BGBl. II S. 2558, im Folgenden Satzung[]
  4. BGBl. 2003 II S. 459[]
  5. Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., § 280 Rn. 1; Hk-ZPO/Saenger, ZPO, 2. Aufl., § 280 Rn. 1[]
  6. vgl. RGZ 157, 389, 394; BAG NZA 2001, 683, 684; 2005, 1117, 1119; FG Köln EFG 2007, 743; Zöller/Lückemann aaO Vor §§ 18-20 GVG Rn. 3; Münch-KommZPO/Zimmermann, 3. Aufl., Vor §§ 18 ff GVG Rn. 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl., § 19 Rn. 15; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl., Rn. 161[]
  7. Zöller/Heßler aaO § 512 Rn. 2 und § 557 Rn. 5b; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 29. Aufl. § 512 Rn. 2 und § 557 Rn. 10; Rosenberg/Schwab/Gottwald aaO § 59 Rn. 28[]
  8. Rosenberg/Schwab/Gottwald aaO § 19 Rn. 1 ff[]
  9. nach herrschender Meinung sind Entscheidungen, die trotz Fehlens der deutschen Gerichtsbarkeit ergangen sind, nichtig: s. etwa BayObLG FamRZ 1972, 212; OLG München FamRZ 1972, 210, 211; Münch-KommZPO/Zimmermann aaO § 18 GVG Rn. 5; Zöller/Lückemann aaO Vor §§ 18-20 GVG Rn. 3; Thomas/Putzo/Reichold aaO Vor § 300 Rn. 15; Rosenberg/Schwab/Gottwald aaO § 19 Rn. 15; Kegel, in: Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl., S. 1047; ausdrücklich offen gelassen von BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 – IXa ZB 19/03 – NJW-RR 2003, 1218, 1219; a.A. Schlosser, ZZP 79 <1966>, 164, 171, 178 f, 181, und – für den Fall, dass das Gericht die deutsche Gerichtsbarkeit geprüft und ausdrücklich bejaht hat – Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., vor § 578 Rn. 10; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl., Rn. 529; Schack aaO Rn. 161; Nagel/ Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl., § 2 Rn. 41[]
  10. BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 – IXa ZB 19/03 – NJW-RR 2003, 1218, 1219; BGHZ 18, 1, 5 f; BayObLG FamRZ 1972, 212; OLG München FamRZ 1972, 210, 211[]
  11. vgl. Zöller/Greger aaO § 280 Rn. 6[]
  12. Wenckstern aaO Rn. 440[]
  13. Schack aaO Rn. 162[]
  14. vgl. BVerwG NJW 1993, 1409; VGH Mannheim NVwZ-RR 2000, 657; BayVGH, Ur-teil vom 15. März 1995 – 7 B 92.2689, 7 B 92.2690, 7 B 92.2692, 7 B 92.2693, 7 B 92.2743 – juris Rn. 14; BFH DStRE 2000, 526, 527; Kegel, in: Kegel/Schurig aaO S. 585 f; Riegel, EuR 1995, 147; kritisch Henrichs, EuR 1994, 358, 359; s. auch Gruber, ZaöRV 65 <2005>, 1015, 1024 f[]
  15. BVerwG NJW 1993, 1409[]
  16. VGH Mannheim NVwZ-RR 2000, 657[]
  17. BayVGH aaO Rn. 18; Wenckstern, Handbuch des internationalen Zivilverfahrensrechts, Band II/1, Rn. 96 ff[]
  18. so zur Satzung der Europäischen Schulen von 1957 BayVGH, aaO Rn. 19 f m.w.N. zum Meinungsstand; a.A. Henrichs, EuR 1994, 358, 362[]
  19. Riegel, EuR 1995, 147, 148; Gruber aaO[]