EU-Kartellbuße – und deutsche Verfassungsbeschwerde

Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union sind keine Akte deutscher öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG und daher auch nicht unmittelbarer Beschwerdegegenstand im Verfahren der Verfassungsbeschwerde[1].

EU-Kartellbuße – und deutsche Verfassungsbeschwerde

Solche Maßnahmen können zwar – als Vorfrage – Gegenstand der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht sein, soweit sie die Grundrechtsberechtigten in Deutschland betreffen. Sie berühren die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben[2]. Eine solche Prüfungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf Maßnahmen nichtdeutscher Hoheitsträger besteht aber nur insoweit, als diese Maßnahmen entweder Grundlage von Handlungen deutscher Staatsorgane sind[3] oder aus der Integrationsverantwortung folgende Reaktionspflichten deutscher Verfassungsorgane auslösen[4]. Insofern prüft das Bundesverfassungsgericht mittelbar auch Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union daraufhin, ob sie durch das auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG durch das Zustimmungsgesetz gebilligte Integrationsprogramm gedeckt sind oder gegen die der europäischen Integration durch das Grundgesetz sonst gezogenen Grenzen verstoßen[5].

Nach diesen Maßstäben war die Verfassungsbeschwerde, die das Bundesverfassungsgericht hier nicht zur Entscheidung angenommen hat, unzulässig, weil ihr keine tauglichen Beschwerdegegenstände zugrunde lagen: Die Beschwerdeführerin griff eine Entscheidung der Europäischen Kommission und Urteile des Gerichts sowie des Gerichtshofs der Europäischen Union an. Damit wendet sie sich ausschließlich gegen Maßnahmen von Organen der Europäischen Union, die als solche mit der Verfassungsbeschwerde nicht angegriffen werden können.

Mit Blick auf die von der Beschwerdeführerin veranlasste selbstschuldnerische Bankbürgschaft ist auch nicht abzusehen, dass die Kommission gegen die Beschwerdeführerin Vollstreckungsmaßnahmen einleiten wird, die (noch) durch die deutsche öffentliche Gewalt durchgesetzt werden müssten (vgl. Art. 299 AEUV). Gegen solche Maßnahmen stünden der Beschwerdeführerin die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung.

Die Beschwerdeführerin rügt schließlich auch keine Verletzung der Integrationsverantwortung von Bundesregierung und Bundestag, die diese dazu verpflichten würde, das kartellrechtliche Bußgeldregime des Unionsrechts auf den Prüfstand zu stellen und sich aktiv mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Auslegung und Anwendung von Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 durch die Organe der Europäischen Union die Verfassungsidentität des Grundgesetzes und die Grenzen des Integrationsprogramms wahrt, sowie eine positive Entscheidung darüber herbeizuführen, welche Wege zur Gewährleistung dieser Anforderungen gegebenenfalls beschritten werden sollen[6].

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. Juli 2016 – 2 BvR 2752/11

  1. BVerfG, Urteil vom 21.06.2016 – 2 BvR 2728/13 u. a. 97; vgl. BVerfGE 129, 124, 175 f.[]
  2. BVerfGE 89, 155, 175[]
  3. vgl. BVerfGE 134, 366, 382 Rn. 23[]
  4. vgl. BVerfGE 134, 366, 394 ff. Rn. 44 ff.; 135, 317, 393 f. Rn. 146[]
  5. vgl. BVerfGE 73, 339, 374 ff.; 102, 147, 161 ff.; 118, 79, 95 ff.; 123, 267, 354; 126, 286, 298 ff.; BVerfG, Beschluss vom 15.12 2015 – 2 BvR 2735/14 36 ff.; Urteil vom 21.06.2016, a.a.O., Rn. 98 f.[]
  6. vgl. BVerfGE 134, 366, 397 Rn. 53; BVerfG, Urteil vom 21.06.2016, a.a.O., Rn. 167[]