Das Aufenthaltsrecht eines japanischen Vaters aufgrund seines deutschen Kindes

Zur Aufrechterhaltung der regelmäßigen persönlichen Beziehungen und direkten elterlichen Kontakte kann aus dem Unionsrecht einen sorgeberechtigten drittstaatsangehörigen Elternteil ein Aufenthaltsrecht im Herkunftsmitgliedstaat seines Unionsbürgerkindes folgen, wenn das Kind mit dem anderen Elternteil in Ausübung des Freizügigkeitsrechts in einen anderen Mitgliedstaat verzogen ist. Vorraussetzung für ein solches Aufenthaltsrecht ist allerdings, dass seine Versagung das Kind in seiner Freizügigkeit als Unionsbürger beschränken und in sein Grundrecht auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen in unverhältnismäßiger Weise eingreifen würde.

Das Aufenthaltsrecht eines japanischen Vaters aufgrund seines deutschen Kindes

Zu diesem Ergebnis gelangt in einem derzeit beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Verfahren die Generalanwältin des Gerichtshofs in ihren jetzt vorgelegten Schlussanträgen.
Anlass hierfür bietet ein Vorabentscheidungsverfahren, dem ein Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zugrunde liegt. In diesem Verfahren begehrt ein japanischer Staatsangehöriger, Herr Iida, der seit 1998 mit einer Deutschen verheiratet ist, die Ausstellung einer „Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers“ in Deutschland. Die gemeinsame Tochter kam 2004 in den USA zur Welt und besitzt neben der US-amerikanischen auch die japanische und die deutsche Staatsangehörigkeit. Ende 2005 zog die Familie von den USA nach Ulm, wo Herr Iida eine nationale Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte einer Deutschen erhielt. Seit Anfang 2006 hat Herr Iida in Ulm eine feste Stelle. Anfang 2008 zog seine Frau mit der Tochter nach Österreich, nach Wien, wo sie eine Stelle angenommen hatte. Seit Januar 2008 leben Herr Iida, der in Ulm blieb, und seine Frau getrennt, das Sorgerecht steht jedoch beiden Elternteilen zu. Herr Iida hält sich weiterhin rechtmäßig in Deutschland auf, seine nationale Aufenthaltserlaubnis ist nunmehr jedoch an seine Erwerbstätigkeit in Deutschland geknüpft. Er meint allerdings, aufgrund der Ausübung des Sorgerechts für seine in Österreich lebende Tochter stehe ihm auch ein aus dem Unionsrecht fließendes Aufenthaltsrecht in Deutschland zu. Seinen Antrag auf Ausstellung einer „Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers“ nach der EU-Freizügigkeitsrichtlinie[1] lehnte die Stadt Ulm jedoch ab.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, der über diesen Fall zu entscheiden hat, wandte sich im Wege des Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union. Die Gerichte der Mitgliedstaaten können in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu entscheiden. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg möchte vom Gerichtshof der Europäischen Union wissen, ob aus dem Unionsrecht für einen sorgeberechtigten drittstaatsangehörigen Elternteil zur Aufrechterhaltung der regelmäßigen persönlichen Beziehungen und direkten elterlichen Kontakte ein Verbleiberecht im Herkunftsmitgliedstaat seines Unionsbürgerkindes folgt, wenn das Kind in Ausübung des Freizügigkeitsrechts von dort in einen anderen Mitgliedstaat verzieht.

Nach Auffassung der Generalanwältin in ihren Schlussanträgen lasse sich aus der EU-Freizügigkeitsrichtlinie kein Aufenthaltsrecht für einen sorgeberechtigten drittstaatsangehörigen Elternteil wie Herrn Iida im Herkunftsmitgliedstaat des in einen anderen Mitgliedstaat verzogenen minderjährigen Unionsbürgers folgern. Die Richtlinie regele nämlich nur das Aufenthaltsrecht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen in anderen Mitgliedstaaten als demjenigen, dessen Staatsangehörigkeit der betreffende Unionsbürger habe. Auch aus der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach der Unionsbürgerstatus des minderjährigen Kindes dem sorgeberechtigten drittstaatsangehörigen Elternteil im Einzelfall ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln kann, lässt sich nach Meinung der Generalanwältin kein Aufenthaltsrecht für Herrn Iida in Deutschland herleiten. Nach dieser Rechtsprechung müsse nämlich der Kernbestand der Rechte, die der Unionsbürgerstatus dem Kind verleihe, beeinträchtigt sein. Das sei etwa der Fall, wenn eine Aufenthaltsverweigerung im Aufenthaltsmitgliedstaat des Kindes zur Folge hätte, dass das Kind gezwungen wäre, die Union zu verlassen[2], oder dem Aufenthaltsrecht des Kindes jede praktische Wirksamkeit genommen würde[3]. Die Tochter von Herrn Iida habe aber ihre Freizügigkeit in vollem Umfang wahrgenommen, indem sie mit ihrer Mutter nach Österreich gezogen sei, obwohl ihrem Vater in Deutschland noch kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gewährt worden sei. Ihre Rechte als Unionsbürgerin seien somit – jedenfalls derzeit – offenkundig nicht in ihrem Kernbereich bedroht. Generalanwältin Trstenjak ist jedoch der Auffassung, dass ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Elternteils im Herkunftsmitgliedstaat seines Kindes in Betracht kommen kann, um dessen in der Grundrechtecharta verbürgte Grundrechte auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen sowie auf Achtung des Familienlebens effektiv zu gewährleisten.

Die Grundrechtecharta sei jedoch nur anwendbar, wenn ein hinreichender Bezug zur Durchführung des Unionsrechts bestehe. Von einem solchen Bezug sei schon dann auszugehen, wenn in der Versagung der unionsrechtlichen Aufenthaltserlaubnis zwar kein Eingriff in den Kernbestand der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleihe, aber doch eine weniger schwerwiegende Beschränkung des Freizügigkeitsrechts des minderjährigen Unionsbürgers läge. So könnte die in Zukunft womöglich nicht gesicherte aufenthaltsrechtliche Situation des Vaters in Deutschland das Potenzial in sich bergen, seine minderjährige Tochter als Unionsbürgerin von der weiteren Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts abzuhalten. Ob dies der Fall sei, müsse jedoch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg klären. Sollte der Verwaltungsgerichtshof eine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts der Tochter bejahen, wäre der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta eröffnet, und der Verwaltungsgerichtshof müsste in einem weiteren Schritt prüfen, ob die Versagung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für den Vater tatsächlich in die Grundrechte der Tochter eingreife. Ein solcher Eingriff könnte etwa dann vorliegen, wenn mit der Versagung dieses Aufenthaltsrechts eine Vereitelung der Möglichkeit regelmäßiger persönlicher Beziehungen einherginge.

Die Generalanwältin gelangt daher zu dem Ergebnis, dass aus dem Unionsrecht für einen sorgeberechtigten drittstaatsangehörigen Elternteil zur Aufrechterhaltung der regelmäßigen persönlichen Beziehungen und direkten elterlichen Kontakte ein Aufenthaltsrecht im Herkunftsmitgliedstaat seines Unionsbürgerkindes folgen kann, wenn das Kind in Ausübung des Freizügigkeitsrechts von dort in einen anderen Mitgliedstaat verzogen ist. Dieses Aufenthaltsrecht setzt voraus, dass seine Versagung im Hinblick auf das Freizügigkeitsrecht des Kindes beschränkende Wirkung hätte und im Lichte der in der Charta verbürgten Grundrechte des Kindes auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen sowie auf Achtung des Familienlebens als unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff zu werten wäre.

Die Schlussanträge seiner Generalanwältin ist für den Gerichtshof der Europäischen Union nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof der Europäischen Union in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

Gerichtshof der Europäischen Union, Schlussanträge der Generalanwältin vom 15. Mai 2012 – C-40/11, Yoshikazu Iida / Stadt Ulm

  1. Richtlinie 2004/38/EG vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl. L 158, S. 77, berichtigt im ABl. L 229, S. 35[]
  2. EuGH, Urteil vom 08.03.2011 – C-34/09, Ruiz Zambrano[]
  3. EuGH, Urteil vom 19.10.2004 – C-200/02, Zhu und Chen, Slg. 2004, I-9925[]