Sint Servatius – oder: Immobilienkauf innerhalb der EU

Ein Verfahren der vorherigen Genehmigung für grenzüberschreitende Investitionen in Immobilien innerhalb der Europäischen Union stellt eine Beschränkdung des freien Kapitalverkehrs dar. Ein solches System ist, wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften jetzt entschied, nur dann gerechtfertigt, wenn es auf objektiven, nicht diskriminierenden im Voraus bekannten Kriterien beruht, die geeignet sind, der Ermessensausübung durch die nationalen Behörden hinreichende Grenzen zu setzen.

Sint Servatius – oder: Immobilienkauf innerhalb der EU

Nach niederländischem Recht ist die Förderung der Bereitstellung ausreichenden Wohnraums Aufgabe des Staates. Hierfür können Vereinigungen und Stiftungen, die sich zum Ziel setzen, auf dem Gebiet des Wohnungswesens tätig zu sein, und nicht bezwecken, Ausschüttungen für andere Belange als die des Wohnungswesens vorzunehmen, zugelassen werden. Diese Einrichtungen stellen Wohnraum vorrangig den Personen zu Verfügung, die aufgrund ihres Einkommens oder anderer Umstände Schwierigkeiten haben, für sie geeigneten Wohnraum zu finden.

Die Woningstichting Sint Servatius zählt zu diesen zugelassenen Einrichtungen. Im Zusammenhang mit ihrer Absicht, in der Stadt Lüttich (Belgien), 30 km von der niederländischen Grenze entfernt, ein Wohnungsbauvorhaben zu verwirklichen, gründete Servatius zwei Gesellschaften belgischen Rechts und beantragte beim zuständigen niederländischen Minister, ihr eine Genehmigung zu erteilen.
Zur Finanzierung dieses Vorhabens vergab Servatius an eine ihrer belgischen Tochtergesellschaften ein Darlehen, nachdem sie selbst als in den Niederlanden zugelassene Einrichtung ein Darlehen zu besonders günstigen Konditionen aufgenommen hatte.

Mit Bescheid vom 5. Dezember 2002 verweigerte der zuständige niederländische Minister der Woningstichting Sint Servatius jedoch die Genehmigung für das Vorhaben wegen dessen Belegenheit in Belgien. Er vertritt die Ansicht, Sint Servatius habe nicht dargetan, dass dieses Vorhaben dem niederländischen Wohnungsmarkt, insbesondere dem Bedarf der Wohnungssuchenden in der Region Maastricht (Niederlande), hätte zugute kommen können.

Hiergegen klagte Sint Servatius. Und der Raad van State, bei dem dieser Rechtsstreit anhängig gemacht wurde, hat dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Im Wege eines solchen Vorabentscheidungsersuchens können (oder müssen) die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder nach der Gültigkeit einer Gemeinschaftshandlung vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet dabei nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Die Entscheidung des EuGH bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit demselben Problem befasst werden.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften stellt zunächst fest, dass die niederländischen zugelassenen Einrichtungen ihre grenzüberschreitenden Investitionsvorhaben, die Immobilien betreffen, zur vorherigen Genehmigung in einem Verwaltungsverfahren vorlegen und den Nachweis erbringen müssen, dass die betreffenden Investitionen für die Belange des Wohnungswesens in den Niederlanden getätigt werden. Nach Auffassung des Gerichtshofs stellt eine solche Verpflichtung eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.

Die niederländische Regierung macht in diesem Zusammenhang geltend, das System vorheriger Genehmigungen sei durch Erfordernisse im Zusammenhang mit der Wohnungspolitik und ihrer Finanzierbarkeit gerechtfertigt. So solle mit dieser Regelung gewährleistet werden, dass die zugelassenen Einrichtungen in Vorhaben investierten, die Belange des Wohnungswesens in den Niederlanden betreffen. Es gelte auch zu vermeiden, dass die finanziellen Fazilitäten, die diese Einrichtungen aufgrund ihrer satzungsmäßigen Aufgabe in Anspruch nähmen, in andere wirtschaftliche Tätigkeiten umgeleitet würden und so die Effektivität und Finanzierbarkeit dieser Wohnungspolitik gefährdeten.

Der EuGH stellt fest, dass Beschränkungen durch solche Erfordernisse gerechtfertigt werden können. Ein System vorheriger behördlicher Genehmigungen kann jedoch keine Ermessensausübung der nationalen Behörden rechtfertigen, die geeignet ist, den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere wenn sie eine Grundfreiheit wie die Freiheit des Kapitalverkehrs betreffen, ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen. Soll ein solches System gerechtfertigt sein, muss es daher auf objektiven, nicht diskriminierenden im Voraus bekannten Kriterien beruhen, damit der Ermessensausübung durch die nationalen Behörden hinreichende Grenzen gesetzt werden.

Nach Auffassung des Gerichtshofs lässt sich aber angesichts der ihm vorliegenden Akte nicht ausschließen, dass die innerstaatlichen Bestimmungen diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang gerecht werden, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass diese innerstaatlichen Bestimmungen die Erteilung der vorherigen Genehmigung durch den zuständigen Minister von einer einzigen Voraussetzung abhängig machen, nämlich der, dass das geplante Vorhaben im Interesse des Sozialwohnungswesens in den Niederlanden verwirklicht werden muss. Hinsichtlich der Frage, ob diese Voraussetzung erfüllt sei, zeigt sich darüber hinaus, dass dies im Einzelfall geprüft wird, ohne dass die Rahmenbedingungen hierfür durch Rechtsvorschriften festgelegt sind und ohne dass weitere spezifische und objektive Kriterien vorliegen, anhand deren die betroffenen Einrichtungen im Voraus erkennen könnten, unter welchen Umständen ihr Genehmigungsantrag Erfolg haben werde, und anhand deren die Gerichte, die eventuell mit einer gegen die Versagung einer Genehmigung gerichteten Klage befasst sind, in vollem Umfang die ihnen übertragene richterliche Kontrolle ausüben können.

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 1. Oktober 2009 – C-567/07