Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Europäischen Patentamtes

Das Europäische Patentamt mit Sitz in München ist eines von zwei Organen der Europäischen Patentorganisation, die durch das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ)[1] gegründet wurde. Die Europäische Patentorganisation hat die Aufgabe, europäische Patente zu erteilen (Art. 4 Abs. 3 Satz 1 EPÜ). Sie genießt im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit Immunität vor den mitgliedstaatlichen Gerichtsbarkeiten (Art. 8 EPÜ i.V.m. Art. 3 Abs. 1 des Protokolls über Vorrechte und Immunitäten vom 5. Oktober 1973[2]) und besitzt als internationale Organisation die Befugnis zur autonomen Gestaltung ihrer inneren Verhältnisse.

Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Europäischen Patentamtes

Gemäß Art. 134 Abs. 1 EPÜ können in den durch das Übereinkommen geschaffenen Verfahren natürliche und juristische Personen grundsätzlich nur durch „zugelassene Vertreter“ vertreten werden, die in einer beim Patentamt geführten Liste eingetragen sein müssen. In die Liste zugelassener Vertreter kann nach Art. 134 Abs. 2 EPÜ jede natürliche Person aufgenommen werden, die die Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaats besitzt, ihren Geschäftssitz oder Arbeitsplatz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat und die europäische Eignungsprüfung bestanden hat. Gegenüber Prüfungsentscheidungen im Rahmen dieser Eignungsprüfung besteht nach Art. 27 der auf Art. 134 Abs. 8 Buchstabe a EPÜ beruhenden Vorschriften des Europäischen Patentamts über die organisationsinterne europäische Eignungsprüfung für zugelassene Vertreter (VEP)[3] eine Beschwerdemöglichkeit zur Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten des Europäischen Patentamts.

Nachdem ein Bewerber sowohl die Eignungsprüfung wiederholt nicht bestanden hatte als auch mit seiner Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungskommission vor der Beschwerdekammer gescheitert war, zog er hiergegen vor das Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Verfassungsrichter nahmen seine Verfassungsbeschwerde jedoch nicht zur Entscheidung an:

Die ihr zugrunde liegenden Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinlänglich geklärt[4].

Fraglich ist, so das Bundesverfassungsgericht, bereits, ob sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen Akte der öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG wendet.

Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich, dass auch Akte einer nicht-deutschen Hoheitsgewalt die Grundrechtsberechtigten in Deutschland betreffen können und das Bundesverfassungsgericht die Aufgabe hat, auch gegenüber solchen Rechtsakten Grundrechtsschutz zu gewähren[5]. Solche Rechtsakte können damit grundsätzlich Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sein. Denn Art. 24 Abs. 1 GG über die Übertragung von Hoheitsrechten muss wie jede Verfassungsbestimmung ähnlich grundsätzlicher Art im Zusammenhang der Gesamtverfassung verstanden und ausgelegt werden. Er öffnet nicht den Weg, die Grundstruktur der Verfassung zu ändern. Ein unaufgebbarer Bestandteil des Verfassungsgefüges sind die fundamentalen Rechtsgrundsätze, die in den Grundrechten des Grundgesetzes anerkannt und verbürgt sind[6].

Das Grundgesetz verlangt allerdings nicht, dass auch im Einzelfall Grundrechtsschutz jeweils gerade durch das Bundesverfassungsgericht zu gewährleisten ist. Vielmehr bedingt die Offenheit der Verfassung für die internationale Zusammenarbeit im Sinne der Ziele der Präambel des Grundgesetzes, dass das Bundesverfassungsgericht dann, wenn auf der supranationalen Ebene ein im Wesentlichen dem grundgesetzlichen vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährleistet ist, seine Gerichtsbarkeit nicht ausübt[7].

Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, jeder nicht-deutsche Hoheitsakt könne im Wege der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Vielmehr können nur Maßnahmen von internationalen Organisationen die Grundrechtsberechtigten in Deutschland betreffen, denen als zwischenstaatliche Einrichtungen im Sinne von Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsrechte übertragen worden sind. Notwendiges Kriterium ist also die Supranationalität: Zu differenzieren ist danach, ob der in Rede stehenden internationalen Organisation die Befugnis eingeräumt wurde, Maßnahmen mit Durchgriffswirkung gegenüber dem Einzelnen zu treffen, die also auf die Rechtsstellung des Bürgers de iure unmittelbar einwirken. Dies trifft nicht nur auf die Europäischen Gemeinschaften beziehungsweise die Europäische Union nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, sondern auch auf andere internationale Organisationen zu[8].

Den Grundsatz der Angreifbarkeit supranationaler Hoheitsakte mit der Verfassungsbeschwerde, der zunächst in Bezug auf Sekundärrechtsakte der Organe der Europäischen Gemeinschaft aufgestellt wurde[9], hat das Bundesverfassungsgericht in der Folge unter Zugrundelegung eines funktionalen Verständnisses der öffentlichen Gewalt explizit auf Rechtsakte der Europäischen Patentorganisation erstreckt[10]. Denn die Europäische Patentorganisation ist eine zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 GG. Es handelt sich um eine ins Völkerrecht verselbständigte juristische Person, und dem Europäischen Patentamt sind Hoheitsrechte zur Ausübung übertragen[11].

Für die Angreifbarkeit eines nicht der deutschen Hoheitsgewalt entstammenden Rechtsakts im Wege der Verfassungsbeschwerde reicht es indes nicht aus, dass der erlassenden Organisation generell supranationale Befugnisse eingeräumt wurden. Vielmehr muss gerade der konkret beanstandete Rechtsakt supranationaler Natur sein, das heißt auf die Rechtsstellung des Adressaten de iure unmittelbar einwirken. Nur dann liegt ein Rechtsakt vor, der den Grundrechtsberechtigten in Deutschland im Sinne der Maastricht-Rechtsprechung „betrifft“[12]. Wo die Organisation dagegen nicht zum Durchgriff ermächtigt wurde, hat sie auch nicht die Möglichkeit, auf die Rechtsstellung des Einzelnen in einer Form einzuwirken, die zur Vermeidung von Rechtsschutzlücken Grundrechtsschutz in der Bundesrepublik Deutschland geböte. Deshalb sind nicht-supranationale Rechtsakte internationaler Organisationen der deutschen öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nicht gleichgestellt.

Ob die vorliegend in Rede stehende Ablehnung der Zulassung des Beschwerdeführers als Vertreter nach Art. 134 EPÜ zum Bereich der supranationalen Befugnisse des Europäischen Patentamts zählt, bedarf hier angesichts der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde aus weiteren Gründen jedoch keiner vertieften Erörterung.

Die Verfassungsbeschwerde genügt nicht den für Verfassungsbeschwerden gegen supranationale Hoheitsakte geltenden Begründungsanforderungen. Unbeschadet der besonderen, hier nicht in Rede stehenden Fallgruppen der Ultra-vires-Rüge und der Identitätsrüge[13] sind Verfassungsbeschwerden gegen supranationale Rechtsakte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass im Rahmen der in Rede stehenden Organisation der nach dem Grundgesetz als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz generell und offenkundig nicht mehr gewährleistet ist[14]. Damit muss ein Beschwerdeführer sich mit der Rechtsordnung und der organisationsinternen Praxis der Organe der konkret in Rede stehenden internationalen Organisation näher auseinandersetzen.

An einer entsprechenden Darlegung des Beschwerdeführers fehlt es. Dieser hat sich nicht mit der Frage beschäftigt, ob die Entscheidungspraxis der Organe der Europäischen Patentorganisation generell nicht dem von Verfassungs wegen gebotenen Rechtsschutzstandard entspricht. Er hat seine Verfassungsbeschwerde vielmehr ausschließlich darauf gestützt, dass die angegriffenen Entscheidungen im konkreten Fall einem grundgesetzadäquaten Grundrechtsstandard nicht mehr entsprächen. Demgegenüber hätte sich der Beschwerdeführer näher mit der organisationsinternen Rechtsschutzmöglichkeit und den diesbezüglichen verfahrensrechtlichen Bestimmungen ebenso befassen müssen wie mit der Spruchpraxis der Beschwerdekammern. Ohne eine solche vertiefte Auseinandersetzung kann ein Grundrechtsschutzdefizit im Rahmen einer supranationalen Organisation nicht substantiiert dargelegt werden; dies umso weniger, als das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt hat, dass das vom Europäischen Patentübereinkommen eingerichtete Rechtsschutzsystem im Wesentlichen dem des Grundgesetzes und damit den Anforderungen nach Art. 24 Abs. 1 GG entspricht[15].

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27. Januar 2010 – – 2 BvR 2253/06

  1. Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente vom 5. Oktober 1973 (EPÜ, BGBl 1976 II S. 649, 826[]
  2. BGBl 1976 II S. 649, 985[]
  3. Amtsblatt des Europäischen Patentamts, Beilage 12/2004[]
  4. siehe zum Rechtsschutz gegenüber supranationalen Hoheitsakten allgemein BVerfGE 73, 339, 374 ff., 387; 89, 155, 175; 102, 147, 161 ff.; und speziell zum Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen des Europäischen Patentamts BVerfG, Beschluss vom 04.04.2001 – 2 BvR 2368/99, NJW 2001, S. 2705 f.; BVerfGK 6, 368 ff.; 8, 266 ff.; 325 ff.[]
  5. vgl. BVerfGE 89, 155, 175; BVerfG, Beschluss vom 04.04.2001, a.a.O.; anders noch BVerfGE 22, 293, 297; 58, 1, 27[]
  6. BVerfGE 37, 271, 279 f.; 58, 1, 40 ff.; 73, 339, 375 f.[]
  7. BVerfGE 73, 339, 387; 102, 147, 161; BVerfG, Beschluss vom 04.04.2001, a.a.O., S. 2706[]
  8. siehe bereits BVerfGK 8, 266, 269 f.; 325, 329[]
  9. vgl. BVerfGE 89, 155, 175[]
  10. siehe BVerfG, Beschluss vom 04.04.2001, a.a.O.; BVerfGK 6, 368 ff.; 8, 266 ff.; 325 ff.[]
  11. näher dazu BVerfG, Beschluss vom 04.04.2001, a.a.O.[]
  12. so bereits BVerfGK 8, 266, 269 f.; 325, 329 f.; ebenso BVerfGK 8, 61, 63 f. zum Grundrechtsschutz gegenüber Maßnahmen des Internationalen Währungsfonds[]
  13. vgl. BVerfG, Urteil vom 30.06.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, NJW 2009, 2267, 2272 f.[]
  14. vgl. BVerfGE 73, 339, 387; 102, 147, 164; BVerfG, Beschluss vom 04.04.2001, a.a.O., S. 2706; BVerfGK 6, 368, 370[]
  15. so BVerfG, Beschluss vom 04.04.2001, a.a.O., S. 2706; BVerfGK 6, 368, 370; ebenso – für einen konventionsadäquaten Rechtsschutzstandard des Systems – EGMR, Urteil vom 18.02.1999, Beschwerde-Nr. 26083/94, Waite u. Kennedy/Deutschland, NJW 1999, 1173, 1175[]