Europäische Patentgerichtsbarkeit

Der Entwurf des Übereinkommens zur Schaffung eines Gerichts für europäische Patente und Gemeinschaftspatente ist nach einem Gutachten des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar.

Europäische Patentgerichtsbarkeit

Der Rat der Europäischen Union hat einen Entwurf eines internationalen Übereinkommens zwischen den Mitgliedstaaten, der Europäischen Union und den dem Europäischen Patentübereinkommen (Das am 5. Oktober 1973 in München unterzeichnete Europäische Patentübereinkommen ist ein Vertrag, dem heute 38 Staaten angehören, darunter alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, nicht jedoch die EU selbst.)) angehörenden Drittstaaten über die Schaffung eines für Rechtsstreitigkeiten über europäische Patente und die zukünftigen Gemeinschaftspatente zuständigen Gerichts ausgearbeitet.

Dieser Übereinkommensentwurf fügt sich in den allgemeineren Rahmen der Schaffung eines integrierten Systems für das europäische Patent und das Gemeinschaftspatent, das vom Europäischen Patentamt erteilt würde, ein. Derzeit ist zwar das Verfahren zur Erteilung des Europäischen Patents einheitlich, dieser Titel selbst zerfällt jedoch in ein Bündel nationaler Patente, von denen jedes einzelne dem internen Recht des jeweils vom Inhaber benannten Staates unterliegt. Das zukünftige Gemeinschaftspatent wäre hingegen einheitlicher und autonomer Art und hätte in der gesamten Union gleiche Wirkung. Es könnte nur für die gesamte Union erteilt, übertragen oder für nichtig erklärt werden oder erlöschen.

Der Entwurf dieses internationalen Übereinkommens sieht ein Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente vor, das aus einem eine Zentralkammer und örtliche sowie regionale Kammern umfassenden Gericht erster Instanz, einem Berufungsgericht und einer gemeinsamen Kanzlei bestünde.
In diesem Zusammenhang hat der Rat den Gerichtshof der Europäischen Union angerufen, um ihn um ein Gutachten zur Vereinbarkeit des geplanten Übereinkommens mit dem Unionsrecht zu ersuchen. An diesem Verfahren haben sich 21 Mitgliedstaaten beteiligt.

Ein solches Gutachten des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vereinbarkeit einer geplanten Übereinkunft mit den Verträgen können ein Mitgliedstaat, das Europäische Parlament, der Rat oder die Kommission einholen. Ist das Gutachten des Gerichtshofs ablehnend, so kann die geplante Übereinkunft nur in Kraft treten, wenn sie oder die Verträge geändert werden.

Der Gerichtshof der Europäischen Union weist zunächst darauf hin, dass nach diesem Übereinkommen das Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente eine Einrichtung ist, die außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union steht. Es ist kraft Völkerrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet. Der Übereinkommensentwurf überträgt ihm ausschließliche Zuständigkeiten für eine beträchtliche Zahl von Klagen Einzelner im Zusammenhang mit Patenten, insbesondere für Klagen wegen tatsächlicher oder drohender Verletzung von Patenten, Klagen auf Nichtigerklärung von Patenten und bestimmte Schadenersatz- oder Entschädigungsklagen. Insoweit werden den Gerichten der Mitgliedstaaten diese Zuständigkeiten genommen; ihnen verbleiben nur die Befugnisse, die nicht in die ausschließlichen Zuständigkeiten des Gerichts für das europäische Patent und das Gemeinschaftspatent fallen.

Ferner ist dieses Gericht bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben mit der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts betraut. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zwar bereits entschieden, dass ein internationales Abkommen, das die Schaffung eines mit der Auslegung seiner Bestimmungen betrauten Gerichts vorsieht, nicht grundsätzlich mit dem Unionsrecht unvereinbar ist. Er hat auch eingeräumt, dass ein internationales Übereinkommen Auswirkungen auf seine Zuständigkeiten haben kann, sofern die wesentlichen Voraussetzungen für die Wahrung des Wesens dieser Zuständigkeiten erfüllt sind und die Autonomie der Unionsrechtsordnung nicht beeinträchtigt wird.

Anders als andere internationale Gerichtssysteme, über die der Gerichtshof in der Vergangenheit befunden hat[1], ist das Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente aber nicht nur mit der Auslegung und Anwendung des geplanten Internationalen Übereinkommens, sondern auch des Unionsrechts betraut.

Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass die Schaffung dieses Gerichts den nationalen Gerichten die Möglichkeit oder gegebenenfalls die Verpflichtung nähme, dem Gerichtshof der Europäischen Union Ersuchen um Vorabentscheidung im Zusammenhang mit Patenten vorzulegen, da der Übereinkommensentwurf einen Vorabentscheidungsmechanismus vorsieht, der die Möglichkeit der Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen dem geplanten Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente vorbehält und sie den nationalen Gerichten nimmt.

Das derzeitige System begründet eine direkte und enge Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof der Europäischen Union und den nationalen Gerichten, in deren Rahmen diese an der ordnungsgemäßen Anwendung und einheitlichen Auslegung des Unionsrechts sowie am Schutz der den Einzelnen von dieser Rechtsordnung gewährten Rechte mitwirken. Die den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof der Europäischen Union jeweils übertragenen Aufgaben sind daher wesentlich für die Wahrung der Natur des Unionsrechts.

Der EuGH weist hierzu auf den Grundsatz hin, dass ein Mitgliedstaat zum Ersatz der Schäden verpflichtet ist, die Einzelnen durch ihm zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, und zwar unabhängig davon, welches Organ – das auch ein Gericht sein kann – dieses Staates den Verstoß begangen hat. Außerdem kann bei einer Verletzung des Unionsrechts durch ein nationales Gericht der Gerichtshof der Europäischen Union angerufen werden, um einen solchen Verstoß gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat feststellen zu lassen.

Eine das Unionsrecht verletzende Entscheidung des Gerichts für europäische Patente und Gemeinschaftspatente könnte jedoch weder Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens sein noch zu irgendeiner vermögensrechtlichen Haftung eines oder mehrerer Mitgliedstaaten führen.

Nach alledem würde das geplante Übereinkommen, indem es einem außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union stehenden internationalen Gericht eine ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über eine beträchtliche Zahl von Klagen Einzelner im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftspatent und zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in diesem Bereich übertragen würde, den Gerichten der Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts nehmen. Das Übereinkommen hätte außerdem eine Auswirkung auf die Zuständigkeit des Gerichtshofs, auf die von den nationalen Gerichten zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu antworten. Somit verfälschte das Übereinkommen die den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten zugewiesenen Zuständigkeiten, die für die Wahrung der Natur des Unionsrechts wesentlich sind.

Der Gerichtshof der Europäischen Union gelangt daher zu dem Ergebnis, dass das geplante Übereinkommen zur Schaffung eines Gerichts für europäische Patente und Gemeinschaftspatente nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Gerichtshof der Europäischen Union, Gutachten 1/09 vom 8. März 2011

  1. EuGH, Gutachten 1/91 vom 14. Dezember 1991; und Gutachten 1/00 vom 18. April 2002.[]