Insolvenzanfechtung einer Zahlung in einen anderen EU-Staat – und das anwendbare Recht

Der Bundesgerichtshof hat dem Gerichtshof der Europäischen Union die Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob das nach Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO[1] bzw. Art. 13 EuInsVO a.F.[2] auf einen Vertrag anzuwendende Recht im Rahmen des Art. 13 EuInsVO aF auch für die Zahlung maßgebend ist, die ein Dritter zur Erfüllung der vertraglichen Zahlungsverpflichtung einer Vertragspartei leistet.

Insolvenzanfechtung einer Zahlung in einen anderen EU-Staat – und das anwendbare Recht

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Frage vorgelegt:

Sind Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren und Art. 12 Abs. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) dahin auszulegen, dass das nach der zuletzt genannten Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht auch für die Zahlung maßgebend ist, die ein Dritter zur Erfüllung der vertraglichen Zahlungsverpflichtung einer Vertragspartei leistet?

Grundsätzlich gilt nach Art. 4 Abs. 1 der hier anwendbaren EuInsVO das Recht des Staats der Verfahrenseröffnung (lex fori concursus) für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen. Nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. m EuInsVO aF regelt das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung insbesondere, welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen. Danach ist hier, weil das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin in Deutschland eröffnet worden ist, die Anfechtbarkeit grundsätzlich nach deutschem Recht zu beurteilen.

Nach deutschem Insolvenzrecht ist in dem hier beim Bundesgerichtshof anhängigen Streitfall die Zahlung der Insolvenzschuldnerin an den Beklagten gemäß § 143 Abs. 1, § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar. Die Zahlung auf die Verbindlichkeit der T. Schuldnerin, weil die T. GmbH war eine unentgeltliche Leistung der GmbH zahlungsunfähig und die gegen sie gerichtete Forderung des Beklagten deshalb wirtschaftlich wertlos war; der Beklagte hat daher durch die Erfüllung seiner Forderung wirtschaftlich nichts verloren, was als Gegenleistung für die Zuwendung angesehen werden könnte[3].

Danach wäre der Klage stattzugeben. Der Beklagte beruft sich jedoch auf Art. 13 EuInsVO aF. Nach dieser Norm, die ohne sachliche Änderung als Art. 16 in die Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.2015[4] übernommen worden ist, findet Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. m EuInsVO aF keine Anwendung, wenn die Person, die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigt wurde, nachweist, dass für diese Handlung das Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Staates der Verfahrenseröffnung maßgeblich ist und dass in diesem Fall diese Handlung in keiner Weise nach diesem Recht angreifbar ist. Der Beklagte meint, dass die angefochtene Zahlung nach niederländischem Recht zu beurteilen sei, und hat unter Beweis gestellt, dass die Zahlung nach diesem Recht in keiner Weise angreifbar sei.

Ob die erste Voraussetzung des Art. 13 EuInsVO aF gegeben ist, hängt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs von der Beantwortung der Vorlagefrage ab. Die Handlung im Sinne dieser Norm, die den Beklagten zum Nachteil der Gläubiger der Schuldnerin begünstigte, ist die Zahlung der Schuldnerin an den Beklagten. Welches Recht für diese Handlung maßgeblich ist[5], richtet sich nach deutschem internationalem Privatrecht. Dies gilt unabhängig davon, ob das Wirkungsstatut nach den Kollisionsregeln des Insolvenzeröffnungsstaates[6] oder nach dem Kollisionsrecht des Staates des angerufenen Gerichts (lex fori) ermittelt wird[7]. In beiden Fällen bestimmt im Streitfall das deutsche Kollisionsrecht das für die Zahlung maßgebliche Recht.

Welchem Recht vertragliche Schuldverhältnisse unterliegen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen, bestimmt vorrangig die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht als unmittelbar auch in Deutschland geltendes europäisches Gemeinschaftsrecht. Nach den Bestimmungen der Verordnung unterliegt im vorliegenden Streitfall der Vertrag zwischen der T. GmbH und dem Beklagten niederländischem Recht. Dies folgt, wenn es sich dem Vortrag des Beklagten gemäß um einen Beförderungsvertrag handelt, aus Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO, weil der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in den Niederlanden hat und sich dort auch der Übernahmeort befindet. Handelt es sich, wie der Kläger mit der Bezeichnung als Chartervertrag[8] möglicherweise meint, um einen Mietvertrag, ergibt sich die Anwendung niederländischen Rechts aus Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO.

Fraglich ist, ob damit auch die Zahlung der Insolvenzschuldnerin im Sinne von Art. 13 EuInsVO aF dem niederländischen Recht unterliegt. Für das Verhältnis zwischen Vertragsparteien ist im Schrifttum zu § 13 EuInsVO aF und zu Art. 16 EuInsVO nF umstritten, ob für das auf die Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung anzuwendende Recht an den Vertrag oder gesondert an die Erfüllungshandlung anzuknüpfen ist; nach inzwischen wohl überwiegender Meinung ist in der Regel das Vertragsstatut maßgeblich[9]. Auch die Kollisionsnormen der Rom I-Verordnung sind insoweit nicht eindeutig. Nach Art. 12 Abs. 1 Buchstabe b Rom I-VO ist das auf den Vertrag anzuwendende Recht auch für die Erfüllung der durch ihn begründeten Verpflichtungen maßgeblich. Es wird aber vertreten, dass trotz der Regelung in Art. 12 Abs. 1 Buchstabe b Rom I-VO für die Wirksamkeit eines der Erfüllung dienenden Verfügungsgeschäfts nicht das Vertragsstatut, sondern das für die Verfügung einschlägige Statut maßgeblich ist[10]. Der Begriff der Erfüllung in Art. 12 Abs. 1 Buchstabe b Rom I-VO beziehe sich hingegen auf die Gesamtheit der Bedingungen, unter denen die für die jeweilige Verpflichtung charakteristische Leistung zu erbringen ist[11].

Wird die Forderung des Gläubigers nicht durch die andere Vertragspartei, sondern wie hier durch einen Dritten erfüllt, stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit des Vertragsstatuts erst recht. Eine vertragliche Beziehung besteht zwischen dem leistenden Dritten und dem Zahlungsempfänger nicht. Andererseits dient die Zahlung der Erfüllung der vertraglichen Forderung des Gläubigers. Dessen Vertrag mit seinem Schuldner bildet den rechtlichen Grund, weshalb er die empfangene Zahlung behalten darf. Nach deutschem Recht kann er die Leistung des Dritten, sofern sein Vertragspartner dieser nicht widerspricht, nicht ablehnen (§ 267 Abs. 2 BGB). Kommt es dem Dritten gerade darauf an, die Verbindlichkeit des Forderungsschuldners zu erfüllen, wird man seine Leistung auch nicht einer von der getilgten Forderung unabhängigen Schenkung gleichstellen können[12]. Für die Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts in einem solchen Fall könnte auch sprechen, dass auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus ungerechtfertigter Bereicherung, die an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis anknüpfen, das eine enge Verbindung mit der ungerechtfertigten Bereicherung aufweist, nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) das Recht anzuwenden ist, dem dieses Rechtsverhältnis unterliegt. Es wird vertreten, dass dies auch für Leistungen auf fremde Schuld gilt[13].

Sollte die Vorlagefrage zu bejahen und für die Zahlung der Schuldnerin niederländisches Recht maßgeblich sein, hängt die Entscheidung des Rechtsstreits gemäß Art. 13 EuInsVO aF davon ab, ob der Beklagte nachweisen kann, dass die Zahlung nach diesem Recht in keiner Weise angreifbar ist. Dies hat der Beklagte im vorliegenden Fall behauptet und unter Beweis gestellt.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. Januar 2020 – IX ZR 94/19

  1. Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. L 177 S. 6[]
  2. Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren, ABl. L 160 S. 1[]
  3. vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.02.2016 – IX ZR 12/14, WM 2016, 553 Rn. 10 mwN; st. Rspr.[]
  4. EuInsVO nF[]
  5. lex causae, Wirkungsstatut[]
  6. lex fori concursus[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 10.10.2013 – IX ZR 265/12, WM 2013, 2138 Rn. 11; Urteil vom 20.11.2014 – IX ZR 13/14, WM 2015, 53 Rn. 26[]
  8. vgl. dazu EuGH, Urteil vom 06.10.2009 – C-133/08, EuZW 2009, 822[]
  9. vgl. etwa Müller in Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO 2015, Art. 16 Rn. 7; Bork in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2018, Art. 16 EuInsVO 2015 Rn. 14; Thole in Vallender, EuInsVO, Art. 16 Rn. 5 f; ders., NZI 2013, 113, 114 f; jeweils mwN[]
  10. vgl. etwa Rauscher, Internationales Privatrecht, 5. Aufl., Rn. 1338; Staudinger/Magnus, BGB, 2016, Art. 12 Rom I-VO Rn. 33, 41; MünchKomm-BGB/Spellenberger, 7. Aufl., Art. 12 Rom I-VO Rn. 71[]
  11. Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl., Art. 12 Rom I-VO Rn. 12; NKBGB/Leible, 3. Aufl., Art. 12 Rom I-VO Rn. 14; Bericht Giuliano/Lagarde, BT-Drs. 10/503, 64[]
  12. a.A. Thole, NZI 2013, 113, 116 f[]
  13. Rauscher, Internationales Privatrecht, 5. Aufl., Rn. 1473[]