Zustellung notarieller Urkunden innerhalb der EU

Außergerichtliche Schriftstücke wie notarielle Urkunden, die außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens erstellt werden, fallen nach einem heute verkündeten Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften unter das System der innergemeinschaftlichen Zustellung. Die mit diesem System angestrebte justizielle Zusammenarbeit kann sich sowohl im Rahmen als auch außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens manifestieren.

Zustellung notarieller Urkunden innerhalb der EU

Die Zustellungsverordnung[1] soll die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, die in einem anderen Mitgliedstaat zugestellt werden sollen, zwischen den Mitgliedstaaten verbessern und beschleunigen. Im Oktober 2007 ließ die Gesellschaft spanischen Rechts Roda Golf & Beach Resort SL bei einem Notar in San Javier eine Urkunde aufnehmen, um über den Urkundsbeamten des Juzgado de Primera Instancia e Instrucción de San Javier (Spanien) nach der Zustellungsverordnung 16 Schreiben an Empfänger im Vereinigten Königreich und in Irland übermitteln zu lassen. Gegenstand der Schreiben war die einseitige Auflösung von Grundstückskaufverträgen, die Roda Golf mit diesen Empfängern geschlossen hatte. Ihr Inhalt stand nicht in einem Bezug zu einem laufenden Gerichtsverfahren.

Der Urkundsbeamte lehnte die Übermittlung der betreffenden Urkunde an die zuständigen Stellen des Vereinigten Königreichs und Irlands mit der Begründung ab, dass ihre Zustellung nicht im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens erfolge und daher nicht in den Anwendungsbereich der Zustellungsverordnung falle. Roda Golf legte gegen diese Entscheidung Widerspruch ein. Der mit dem Widerspruch befasste Juzgado de Primera Instancia e Instrucción n° 5 de San Javier möchte deshalb wissen, ob die Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke zwischen Privatpersonen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens in den Anwendungsbereich der erwähnten Verordnung fällt.

Was seine Zuständigkeit für die Beantwortung der Vorlagefragen angeht, weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die Zustellungsverordnung auf Titel IV des EG-Vertrags, der sich auf Visa, Aysl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr bezieht, gestützt ist und daher nur ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung dieser Verordnung zur Entscheidung vorlegen kann. Der Gerichtshof sieht dieses Kriterium in der vorliegenden Rechtssache erfüllt, da das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen angegeben hat, dass die Entscheidung, die es im Ausgangsverfahren zu erlassen haben werde, letztinstanzlich ergehen werde. Es ist nämlich nicht Sache des Gerichtshofs, jedweden Streit darüber zu entscheiden, ob nach nationalem Recht ein Rechtsmittel gegen eine solche Entscheidung eingelegt werden kann.

Da der Gegenstand des Widerspruchs im Ausgangsverfahren die Aufhebung der ablehnenden Entscheidung eines Urkundsbeamten ist, von der geltend gemacht wird, dass sie das Recht der Widerspruchsführerin verletzt, ist nach Ansicht des Gerichtshofs beim vorlegenden Gericht ein Rechtsstreit anhängig, und demgemäß übt dieses Gericht eine Rechtssprechungstätigkeit aus. Der Gerichtshof erklärt sich deshalb für die Beantwortung der Vorlagefragen zuständig.

In der Sache stellt der Gerichtshof sodann fest, dass die Zustellungsverordnung den Begriff des außergerichtlichen Schriftstücks nicht genau und einheitlich definiert. Ungeachtet eines von der Kommission in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten erstellten Glossars über die Schriftstücke, die zugestellt werden können, kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass der Begriff des außergerichtlichen Schriftstücks im Sinne der Zustellungsverordnung als ein Begriff des Gemeinschaftsrechts anzusehen ist und nicht als ein Begriff des nationalen Rechts. Demnach soll die Zustellungsverordnung ein System der innergemeinschaftlichen Zustellung schaffen, dessen Ziel das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts ist. Im Hinblick auf dieses Ziel kann sich die justizielle Zusammenarbeit, von der in dieser Verordnung die Rede ist, sowohl im Rahmen als auch außerhalb des Rahmens eines gerichtlichen Verfahrens manifestieren, soweit sie grenzüberschreitende Bezüge hat und für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist.

Hinzu kommt, dass die betreffende, dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des vorlegenden Gerichts zum Zweck der Zustellung übermittelte Urkunde von einem Notar aufgenommen worden ist und als solche ein außergerichtliches Schriftstück im Sinne der Zustellungsverordnung darstellt.

Zu den von einigen Regierungen geäußerten Befürchtungen, dass ein weites Verständnis des Begriffs des außergerichtlichen Schriftstücks die Ressourcen der nationalen Gerichte überfordern würde, stellt der Gerichtshof fest, dass die sich aus der Zustellungsverordnung ergebenden Pflichten im Bereich der Zustellung nicht zwingend die nationalen Gerichte treffen und es den Mitgliedstaaten frei steht, zu diesem Zweck andere Stellen als die nationalen Gerichte zu benennen. Außerdem weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Zustellung mit Hilfe von Übermittlungs- und Empfangsstellen nicht der einzige in dieser Verordnung vorgesehene Weg der Zustellung ist.

Der Gerichtshof kommt daher zu dem Schluss, dass die Zustellung einer notariellen Urkunde wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens in den Anwendungsbereich der Zustellungsverordnung fällt.

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 25. Juni 2009 – C-14/08 (Roda Golf & Beach Resort SL)

  1. Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und
    außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (ABl. L 160, S. 37). Diese
    Verordnung ist durch die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.
    November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen
    in den Mitgliedstaaten und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1348/2000 (ABl. L 324, S. 79) ersetzt worden.[]